Die türkische Zeitung „Özgür Gündem“ wagt einen Neuanfang

Comeback nach vielen Morden

Von Susanne Güsten
Pro-kurdische Zeitung vor 17 Jahren verboten.

Istanbul. (apa) Es gab eine Zeit, da gehörte im wahrsten Sinne des Wortes Todesmut dazu, für die Tageszeitung „Özgür Gündem“ in der Türkei zu arbeiten. Nur sieben Tage nach dem ersten Erscheinen des Blattes im Mai 1992 wurde der erste Reporter von „Gündem“ ermordet. Bis die Zeitung zwei Jahre später wegen Nähe zu den kurdischen PKK-Rebellen verboten wurde, starben mehr als 70 Mitarbeiter. Selbst Zeitungsjungen wurden erschossen.

Die Mörder kamen vermutlich aus den Reihen der türkischen Sicherheitskräfte, die einen schmutzigen Krieg gegen die PKK und deren mutmaßliche Anhänger führten. Nun, 17 Jahre nach ihrem Verbot, ist „Özgür Gündem“ an die Kioske zurückgekehrt.

Wer bei „Özgür Gündem“ (Freie Tagesordnung) den Terror der Sicherheitskräfte überlebte, bekam den Druck der Justiz zu spüren. Mitarbeiter der Zeitung wurden zu insgesamt 147 Jahren Haft verurteilt, dazu gab es Geldstrafen. Kioskbesitzer mit „Özgür Gündem“ im Angebot mussten damit rechnen, dass ihr Stand plötzlich in Flammen aufging.

Die Politik applaudierte. „Das sind Gewalttäter im Gewand von Journalisten“, sagte der damalige Ministerpräsident Süleyman Demirel. Die vielen Morde kommentierte Demirel abfällig mit den Worten: „Die knallen sich doch gegenseitig ab.“ Erst in Folge der politischen Reformen im Rahmen ihrer EU-Bewerbung macht sich die Türkei heute daran, staatliche Verbrechen der damaligen Zeit aufzuarbeiten. Auch für „Özgür Gündem“ war es ein weiter Weg. Nach dem Verbot wurde das Blatt unter verschiedenen Namen immer wieder neu belebt. „Wir machen seit 21 Jahren Zeitung“, sagte Chefredakteur Hüseyin Aykol, der sich seine Funktion mit der Menschenrechtsaktivistin Eren Keskin teilt. So schlimm wie früher seien die Bedingungen heute nicht mehr, sagte Aykol – wobei ‚Verbesserung‘ ein relativer Begriff ist: „In den letzten Jahren ist nur einer unserer Leute umgebracht worden“, so Aykol. 30 Mitarbeiter der Zeitung sitzen nach seinen Angaben im Gefängnis.

Umsonst waren die Opfer jedoch nicht, meint Aykol. „Wenn man heute offen über das Kurdenproblem reden kann, dann hat das sicher mit dem Preis zu tun, den wir bezahlt haben.“ „Özgür Gündem“ ist aber nach wie vor anders als andere türkische Medien. Die Berichterstattung kreist um die Kurdenfrage. Die Zeitung benutzt etwa kurdische Städtenamen und setzt die offiziellen türkischen Bezeichnungen in Klammern. Es wäre deshalb nicht überraschend, wenn „Özgür Gündem“ schon bald neue Scherereien mit den Behörden bekäme.

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