Als FEYKOM haben wir auf dem Kongress der European LEFT, welcher vom 9. – 11. Dezember in Wien ausgetragen wurde, ein Grußwort zur Eröffnung des Kongresses gehalten.
Unsere Rede in voller Länge:
Liebe Genoss*innen, Liebe Freund*innen,
Zu aller erst möchten wir euch alle herzlich in Wien willkommen heißen. Wir freuen uns heute hier zu euch sprechen zu dürfen und unter so vielen Menschen zu sein, die alle ein gemeinsames Ziel verfolgen. Menschen, an deren Seite wir für eine andere Welt kämpfen wollen. Menschen, mit denen wir uns über die Gegenwart und Zukunft austauschen wollen.
Wir, als FEYKOM – Rat der kurdischen Gesellschaft in Österreich, sind eine seit 30 Jahren existierende Dachorganisationen der kurdischen Vereine und die gesellschaftliche Vertretung der schätzungsweise 150.000 hier lebenden Kurd*innen. Die kurdische Gesellschaft ist historisch und auch aktuell von vielschichtiger Unterdrückung betroffen. Nachdem unsere Familien schon seit Jahrhunderten vor Genoziden, Verfolgung, Rassismus und Unterdrückung fliehen, kamen sie meist sehr jung hier nach Europa, um für einen Hungerlohn jene schwere Arbeit zu verrichten, für die sich alle zu schade waren – mehr gab es für sie nicht, für den Rest mussten sie kämpfen. Als kurdische Gesellschaft war ein politisches Bewusstsein und ein organisierter Zusammenhalt daher immer schon essenziell für unser Überleben. Und gerade dieses Bewusstsein verbindet uns mit all jenen, die für ein gutes Leben für alle einstehen, mit allen, die gegen Ausbeutung, Ausschluss und Herrschaft kämpfen.
Wir freuen uns umso mehr auf die nächsten drei Tage dieses Kongresses, in denen wir über Ideen und Wege hinaus aus der kapitalistischen Moderne sprechen können: Einer dieser Wege und ein wichtiger Bezugspunkt für unsere Kämpfe hier in der Diaspora ist die Revolution in Rojava/ Nordostsyrien. Es ist ein Weg jenseits von Staat, Macht und Gewalt. Ein Weg, der in den aktuellen Zeiten, in denen sich weltweite Kriege, Krisen und Katastrophen aneinanderreihen, wie ein Leuchtturm erscheint.
Der Kongress der European Left in Wien steht diesmal unter dem Titel: „Friede, Brot und Rosen“: All diese Forderungen finden auch in Rojava/Nordostsyrien ihren Ausdruck. Friede meint hier das multiethnische, selbstverwaltete und solidarische Zusammenleben im demokratischen Konföderalismus. Brot meint ein alternatives ökologisches Wirtschaftsmodell, in denen die Bedürfnisse von Menschen und der Natur, nicht der Profit im Mittelpunkt stehen. Und Rose meint hier die Blüten, das Schöne, die Befreiung der Frau als Maßstab aller Freiheit und die Dornen, die Selbstverteidigung der Frauen gegen patriarchale Herrschaft. Die Revolution von Rojava hat zwar ihren Ausgangspunkt im Mittleren Osten, stellt aber durchaus ein System dar, welches global gedacht und gelebt werden soll. Das zeigt sich aktuell auch an den feministischen Protesten in Iran und Ostkurdistan, die sich direkt auf die Frauenrevolution in Rojava beziehen und aus ihr Kraft und Hoffnung schöpfen.
Die Bedeutung dieser Region geht weit über den bewaffneten Widerstand, hinaus. Es ist ein Kampf, der für die Linke weltweit eine Inspiration ist, für Wege jenseits von Pest und Cholera. Es ist der Kampf für genau jene Welt, die den türkischen Faschist*innen und reaktionären Kräften wie dem islamistischen Regime in Iran Angst macht. In der Nacht auf den 20. November startete die türkische Luftwaffe erneut einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Rojava, in dem bis jetzt vordergründig Zivilist*innen bombardiert wurden. Der türkische Staat begeht Massaker, um Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. In Südkurdistan/Nordirak setzt die türkische Armee täglich massiv Giftgas gegen kurdische Freiheitskämpfer*innen ein. Bisher haben europäische Staaten eine offizielle Untersuchungskommission verhindert.
Wir leben heute in Zeiten, in der eine Krise von der nächsten gejagt wird. Nahezu jeden Tag scheinen neue Bedrohungen aufzukommen, die die gesamte Menschheit gefährden. Wir befinden uns am Rande eines reaktionären Zeitenwandels, rechte Ideologien erstarken immer weiter. Die Europäische Linke steckt schon länger in einer Krise. Viel zu reibungslos funktioniert meist die Zusammenarbeit mit den herrschenden Institutionen, die jeden Gedanken der Subversion im Zwang zu Konformität und Konstruktivität erstickt. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass sich die meisten Menschen in Europa, ein Leben außerhalb der herrschenden Verhältnisse gar nicht mehr vorstellen können. Das gilt es zu verändern: Wir müssen beginnen, den Geist der Aufstände und Revolutionen des Mittleren Ostens auch hier nach Europa, auf die Straße und in die Parlamente zu tragen. Nicht als Kompromiss mit den herrschenden Verhältnissen, sondern als die Sprengkraft, die linke Politik immer schon ausgestrahlt hat. Denn der Umsturz der herrschenden Verhältnisse ist für die Menschen im Mittleren Osten keine ferne Utopie, sondern ist zu einer bedingungslosen Notwendigkeit geworden. Ihr mutiger Kampf ist die Konsequenz, die wir auch hier in Europa aus den leeren Versprechen des Kapitalismus ziehen müssen. Es ist kein Kampf um die Hebel der Macht, sondern ein Kampf darum, genau dieses zerstörerische System der Ausbeutung zu beenden und die Hebel der Macht zu zerschlagen.
Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich auf die Suche nach alternativen Gesellschaftsmodellen zu begeben. Die Europäische Linke sollte diese Tage in Wien nutzen, um Wege aus der Krise und in die Zukunft zu finden. Die Zukunft zu gestalten heißt auch die Hoffnung auf eine Welt zu verteidigen, die ganz anders ist als das aktuell herrschende Elend. Rojava ist für uns eine leuchtende Hoffnung, weil es uns zeigt, dass es sogar unter den widrigsten Umständen notwendig ist, die herrschenden Verhältnisse zu überwinden. Mit Rojava stirbt auch die Hoffnung auf eine andere Welt. Es liegt daher an uns allen, den türkischen Vernichtungskrieg gegen Rojava zu stoppen. Es geht hier um alles. Es liegt an uns, internationale Solidarität zu organisieren. Lasst uns gemeinsame Wege aus der kapitalistischen Krise finden. Lasst uns gemeinsam die Hoffnung verteidigen!
Um mit den Worten der kurdischen Freiheitsbewegung abzuschließen: Berxwedan Jiyan e! Widerstand ist Leben! Jin Jiyan Azadî! Frau Leben Freiheit!